Siegfried. 3 Aufzug, 3 Szene

DRITTE SZENE
Siegfried, Brünnhilde

Das immer zarter gewordene Gewölk hat sich in einen
feinen Nebelschleier von rosiger Färbung aufgelöst und zerteilt sich nun in der
Weise, dass der Duft sich gänzlich nach oben verzieht und endlich nur noch den
heiteren, blauen Tageshimmel erblicken lässt, während am Saume der nun sichtbar
werdenden Felsenhöhe - ganz die gleiche Szene wie im dritten Aufzug der
"Walküre" - ein morgenrötlicher Nebelschleier haften bleibt, welcher
zugleich an die in der Tiefe noch lodernde Zauberlohe erinnert. Die Anordnung
der Szene ist durchaus dieselbe wie am Schlusse der "Walküre": im
Vordergrunde, unter der breitästigen Tanne, liegt Brünnhilde in vollständiger,
glänzender Panzerrüstung, mit dem Helm auf dem Haupte, den langen Schild über
sich gedeckt, in tiefem Schlafe

SIEGFRIED
gelangt von aussen her auf
den felsigen Saum der Höhe und zeigt sich dort zuerst nur mit dem Oberleibe: so
blickt er lange staunend um sich

Selige Öde auf sonniger Höh'!
Er steigt vollends herauf
und betrachtet, auf einem Felsensteine des hinteren Abhanges stehend, mit
Verwunderung die Szene. Er blickt zur Seite in den Tann und schreitet etwas vor

Was ruht dort schlummernd im schattigen Tann?
Ein Ross ist's, rastend in tiefem Schlaf!
Langsam näher kommend, hält
er verwundert an, als er noch aus einiger Entfernung Brünnhildes Gestalt
wahrnimmt

Was strahlt mir dort entgegen?
Welch glänzendes Stahlgeschmeid?
Blendet mir noch die Lohe den Blick?
Er tritt näher hinzu
Helle Waffen! Heb' ich sie auf?
Er hebt den Schild ab und
erblickt Brünnhildes Gestalt, während ihr Gesicht jedoch noch zum grossen Teil
vom Helm verdeckt ist

Ha! In Waffen ein Mann:
wie mahnt mich wonnig sein Bild!
Das hehre Haupt drückt wohl der Helm?
Leichter würd' ihm, löst' ich den Schmuck.
Vorsichtig löst er den Helm
und hebt ihn der Schlafenden vom Haupte ab: langes lockiges Haar bricht hervor.
Siegfried erschrickt

Ach! Wie schön!
Er bleibt in den Anblick
versunken

Schimmernde Wolken säumen in Wellen
den hellen Himmelssee;
leuchtender Sonne lachendes Bild
strahlt durch das Wogengewölk!
Er neigt sich tiefer zu der
Schlafenden hinab
Von schwellendem Atem schwingt sich die Brust:
brech' ich die engende Brünne?
Er versucht mit grosser
Behutsamkeit, die Brünne zu lösen
Komm, mein Schwert, schneide das Eisen!
Er zieht sein Schwert,
durchschneidet mit zarter Vorsicht die Panzerringe zu beiden Seiten der ganzen
Rüstung und hebt dann die Brünne und die Schienen ab, so dass nun Brünnhilde in
einem weichen weiblichen Gewande vor ihm liegt. Er fährt erschreckt und staunend
auf
Das ist kein Mann!
Er starrt mit höchster
Aufgeregtheit auf die Schlafende hin

Brennender Zauber zückt mir ins Herz;
feurige Angst fasst meine Augen:
mir schwankt und schwindelt der Sinn!
Er gerät in höchste
Beklemmung

Wen ruf' ich zum Heil, dass er mir helfe?
Mutter! Mutter! Gedenke mein!
Er sinkt, wie ohnmächtig,
an Brünnhildes Busen. Langes Schweigen. Dann fährt er seufzend auf

Wie weck' ich die Maid,
dass sie ihr Auge mir öffne?
Das Auge mir öffne?
Blende mich auch noch der Blick?
Wagt' es mein Trotz?
Ertrüg' ich das Licht?
Mir schwebt und schwankt
und schwirrt es umher!
Sehrendes Sehnen zehrt meine Sinne;
am zagenden Herzen zittert die Hand!
Wie ist mir Feigem?
Ist dies das Fürchten?
O Mutter! Mutter! Dein mutiges Kind!
Im Schlafe liegt eine Frau:
die hat ihn das Fürchten gelehrt!
Wie end' ich die Furcht?
Wie fass' ich Mut?
Dass ich selbst erwache,
muss die Maid mich erwecken!
Indem er sich der Schlafenden von neuem nähert, wird er wieder von zarteren
Empfindungen an ihren Anblick gefesselt. Er neigt sich tiefer hinab
Süss erbebt mir ihr blühender Mund.
Wie mild erzitternd mich Zagen er reizt!
Ach! Dieses Atems wonnig warmes Gedüft!
wie in Verzweiflung
Erwache! Erwache! Heiliges Weib!
Er starrt auf sie hin
Sie hört mich nicht.
gedehnt mit gepresstem,
drängendem Ausdruck

So saug' ich mir Leben
aus süssesten Lippen,
sollt' ich auch sterbend vergehn!

Er sinkt, wie ersterbend, auf
die Schlafende und heftet mit geschlossenen Augen seine Lippen auf ihren Mund.
Brünnhilde schlägt die Augen auf. Siegfried fährt auf und bleibt vor ihr
stehen. Brünnhilde richtet sich langsam zum Sitze auf. Sie begrüsst mit
feierlichen Gebärden der erhobenen Arme ihre Rückkehr zur Wahrnehmung der Erde
und des Himmels

BRÜNNHILDE
Heil dir, Sonne!
Heil dir, Licht!
Heil dir, leuchtender Tag!
Lang war mein Schlaf;
ich bin erwacht.
Wer ist der Held, der mich erweckt'?

SIEGFRIED
von ihrem Blicke und ihrer
Stimme feierlich ergriffen, steht wie festgebannt

Durch das Feuer drang ich,
das den Fels umbrann;
ich erbrach dir den festen Helm:
Siegfried bin ich, der dich erweckt'.

BRÜNNHILDE
hoch aufgerichtet sitzend
Heil euch, Götter!
Heil dir, Welt!
Heil dir, prangende Erde!
Zu End' ist nun mein Schlaf;
erwacht, seh' ich:
Siegfried ist es, der mich erweckt!

SIEGFRIED
in erhabenste Verzückung
ausbrechend

O Heil der Mutter, die mich gebar;
Heil der Erde, die mich genährt!
Dass ich das Aug' erschaut,
das jetzt mir Seligem lacht!

BRÜNNHILDE
mit grösster Bewegtheit
O Heil der Mutter, die dich gebar!
Heil der Erde, die dich genährt!
Nur dein Blick durfte mich schau'n,
erwachen durft' ich nur dir!
Beide bleiben voll
strahlenden Entzückens in ihren gegenseitigen Anblick verloren

O Siegfried! Siegfried! Seliger Held!
Du Wecker des Lebens, siegendes Licht!
O wüsstest du, Lust der Welt,
wie ich dich je geliebt!
Du warst mein Sinnen,
mein Sorgen du!
Dich Zarten nährt' ich,
noch eh' du gezeugt;
noch eh' du geboren,
barg dich mein Schild:
so lang' lieb' ich dich, Siegfried!

SIEGFRIED
leise und schüchtern
So starb nicht meine Mutter?
Schlief die minnige nur?

BRÜNNHILDE
lächelnd, freundlich die
Hand nach ihm ausstreckend

Du wonniges Kind!
Deine Mutter kehrt dir nicht wieder.
Du selbst bin ich,
wenn du mich Selige liebst.
Was du nicht weisst,
weiss ich für dich;
doch wissend bin ich
nur - weil ich dich liebe!
O Siegfried! Siegfried! Siegendes Licht!
Dich liebt' ich immer;
denn mir allein erdünkte Wotans Gedanke.
Der Gedanke, den ich nie nennen durfte;
den ich nicht dachte, sondern nur fühlte;
für den ich focht, kämpfte und stritt;
für den ich trotzte dem, der ihn dachte;
für den ich büsste, Strafe mich band,
weil ich nicht ihn dachte und nur empfand!
Denn der Gedanke - dürftest du's lösen! -
mir war er nur Liebe zu dir!

SIEGFRIED
Wie Wunder tönt, was wonnig du singst;
doch dunkel dünkt mich der Sinn.
Deines Auges Leuchten seh' ich licht;
deines Atems Wehen fühl' ich warm;
deiner Stimme Singen hör' ich süss:
doch was du singend mir sagst,
staunend versteh' ich's nicht.
Nicht kann ich das Ferne sinnig erfassen,
wenn alle Sinne dich nur sehen und fühlen!
Mit banger Furcht fesselst du mich:
du Einz'ge hast ihre Angst mich gelehrt.
Den du gebunden in mächtigen Banden,
birg meinen Mut mir nicht mehr!

Er verweilt in grosser
Aufregung, sehnsuchtsvollen Blick auf sie heftend

BRÜNNHILDE
wendet sanft das Haupt zur
Seite und richtet ihren Blick nach dem Tann

Dort seh' ich Grane,
mein selig Ross:
wie weidet er munter,
der mit mir schlief!
Mit mir hat ihn Siegfried erweckt.

SIEGFRIED
in der vorigen Stellung
verbleibend

Auf wonnigem Munde weidet mein Auge:
in brünstigem Durst doch brennen die Lippen,
dass der Augen Weide sie labe!

BRÜNNHILDE
deutet ihm mit der Hand
nach ihren Waffen, die sie gewahrt

Dort seh' ich den Schild,
der Helden schirmte;
dort seh' ich den Helm,
der das Haupt mir barg:
er schirmt, er birgt mich nicht mehr!

SIEGFRIED
Eine selige Maid versehrte mein Herz;
Wunden dem Haupte schlug mir ein Weib:
ich kam ohne Schild und Helm!

BRÜNNHILDE
mit gesteigertem Wehmut
Ich sehe der Brünne prangenden Stahl:
ein scharfes Schwert schnitt sie entzwei;
von dem maidlichen Leibe löst' es die Wehr:
ich bin ohne Schutz und Schirm,
ohne Trutz ein trauriges Weib!

SIEGFRIED
Durch brennendes Feuer fuhr ich zu dir!
Nicht Brünne noch Panzer barg meinen Leib:
nun brach die Lohe mir in die Brust.
Es braust mein Blut in blühender Brunst;
ein zehrendes Feuer ist mir entzündet:
die Glut, die Brünnhilds Felsen umbrann,
die brennt mir nun in der Brust!
O Weib, jetzt lösche den Brand!
Schweige die schäumende Glut!

Er hat sie heftig umfasst: sie
springt auf, wehrt ihm mit der höchsten Kraft der Angst, und entflieht nach der
anderen Seite

BRÜNNHILDE
Kein Gott nahte mir je!
Der Jungfrau neigten scheu sich die Helden:
heilig schied sie aus Walhall!
Wehe! Wehe!
Wehe der Schmach, der schmählichen Not!
Verwundet hat mich, der mich erweckt!
Er erbrach mir Brünne und Helm:
Brünnhilde bin ich nicht mehr!

SIEGFRIED
Noch bist du mir die träumende Maid:
Brünnhildes Schlaf brach ich noch nicht.
Erwache, sei mir ein Weib!

BRÜNNHILDE
in Betäubung
Mir schwirren die Sinne,
mein Wissen schweigt:
soll mir die Weisheit schwinden?

SIEGFRIED
Sangst du mir nicht,
dein Wissen sei
das Leuchten der Liebe zu mir?

BRÜNNHILDE
vor sich hinstarrend
Trauriges Dunkel trübt meinen Blick;
mein Auge dämmert, das Licht verlischt:
Nacht wird's um mich.
Aus Nebel und Grau'n
windet sich wütend ein Angstgewirr:
Schrecken schreitet und bäumt sich empor!

Sie birgt heftig die Augen mit
beiden Händen

SIEGFRIED
indem er ihr sanft die
Hände von den Augen löst
Nacht umfängt gebund'ne Augen.
Mit den Fesseln schwindet das finstre Grau'n.
Tauch' aus dem Dunkel und sieh:
sonnenhell leuchtet der Tag!

BRÜNNHILDE
in höchster Ergriffenheit
Sonnenhell leuchtet der Tag meiner Schmach!
O Siegfried! Siegfried!
Sieh' meine Angst!
Ihre Miene verrät, dass ihr
ein anmutiges Bild vor die Seele tritt, von welchem ab sie den Blick mit
Sanftmut wieder auf Siegfried richtet
Ewig war ich, ewig bin ich,
ewig in süss sehnender Wonne,
doch ewig zu deinem Heil!
O Siegfried! Herrlicher! Hort der Welt!
Leben der Erde! Lachender Held!
Lass, ach lass, lasse von mir!
Nahe mir nicht mit der wütenden Nähe!
Zwinge mich nicht
mit dem brechenden Zwang,
zertrümmre die Traute dir nicht!
Sahst du dein Bild im klaren Bach?
Hat es dich Frohen erfreut?
Rührtest zur Woge das Wasser du auf,
zerflösse die klare Fläche des Bachs:
dein Bild sähst du nicht mehr,
nur der Welle schwankend Gewog'!
So berühre mich nicht,
trübe mich nicht!
Ewig licht lachst du selig dann
aus mir dir entgegen,
froh und heiter ein Held!
O Siegfried! Leuchtender Spross!
Liebe dich und lasse von mir:
vernichte dein Eigen nicht!

SIEGFRIED
Dich lieb' ich: o liebtest mich du!
Nicht hab' ich mehr mich:
o, hätte ich dich!
Ein herrlich Gewässer wogt vor mir;
mit allen Sinnen seh' ich nur sie,
die wonnig wogende Welle.
Brach sie mein Bild, so brenn' ich nun selbst,
sengende Glut in der Flut zu kühlen;
ich selbst, wie ich bin,
spring' in den Bach:
o, dass seine Wogen mich selig verschlängen,
mein Sehnen schwänd' in der Flut!
Erwache, Brünnhilde!
Wache, du Maid!
Lache und lebe, süsseste Lust!
Sei mein! Sei mein! Sei mein!

BRÜNNHILDE
sehr innig
O Siegfried! Dein war ich von je!

SIEGFRIED
feurig
Warst du's von je, so sei es jetzt!

BRÜNNHILDE
Dein werd' ich ewig sein!

SIEGFRIED
Was du sein wirst, sei es mir heut'!
Fasst dich mein Arm,
umschling' ich dich fest;
schlägt meine Brust
brünstig die deine;
zünden die Blicke,
zehren die Atem sich;
Aug' in Auge, Mund an Mund:
dann bist du mir,
was bang du mir warst und wirst!
Dann brach sich die brennende Sorge,
ob jetzt Brünnhilde mein?

Er hat sie umfasst

BRÜNNHILDE
Ob jetzt ich dein?
Göttliche Ruhe rast mir in Wogen;
keuschestes Licht lodert in Gluten:
himmlisches Wissen stürmt mir dahin,
Jauchzen der Liebe jagt es davon!
Ob jetzt ich dein?
Siegfried! Siegfried!
Siehst du mich nicht?
Wie mein Blick dich verzehrt,
erblindest du nicht?
Wie mein Arm dich presst,
entbrennst du mir nicht?
Wie in Strömen mein Blut entgegen dir stürmt,
das wilde Feuer, fühlst du es nicht?
Fürchtest du, Siegfried,
fürchtest du nicht das wild wütende Weib?

Sie umfasst ihn heftig

SIEGFRIED
in freudigem Schreck
Ha! Wie des Blutes Ströme sich zünden,
wie der Blicke Strahlen sich zehren,
Wie die Arme brünstig sich pressen, -
kehrt mir zurück mein kühner Mut,
und das Fürchten, ach!
Das ich nie gelernt,
das Fürchten, das du mich kaum gelehrt:
das Fürchten, - mich dünkt -
ich Dummer vergass es nun ganz!

Er hat bei den letzten Worten
Brünnhilde unwillkürlich losgelassen

BRÜNNHILDE
im höchsten Liebesjubel wild auflachend
O kindischer Held!
O herrlicher Knabe!
Du hehrster Taten töriger Hort!
Lachend muss ich dich lieben,
lachend will ich erblinden,
lachend zugrunde gehn!
Fahr' hin, Walhalls leuchtende Welt!
Zerfall in Staub deine stolze Burg!
Leb' wohl, prangende Götterpracht!
End' in Wonne, du ewig Geschlecht!
Zerreisst, ihr Nornen, das Runenseil!
Götterdämm'rung, dunkle herauf!
Nacht der Vernichtung, neble herein!
Mir strahlt zur Stunde Siegfrieds Stern;
er ist mir ewig, ist mir immer,
Erb' und Eigen, ein' und all':
leuchtende Liebe, lachender Tod!

SIEGFRIED
Lachend erwachst du Wonnige mir:
Brünnhilde lebt, Brünnhilde lacht!
Heil dem Tage, der uns umleuchtet!
Heil der Sonne, die uns bescheint!
Heil der Welt, der Brünnhilde lebt!
Sie wacht, sie lebt,
sie lacht mir entgegen.
Prangend strahlt mir Brünnhildes Stern!
Sie ist mir ewig, ist mir immer,
Erb' und Eigen, ein' und all':
leuchtende Liebe, lachender Tod!

Brünnhilde stürzt sich in
Siegfrieds Arme.