Richard Wagner. Lohengrin. Zweiter Aufzug

ZWEITER AUFZUG

In der Burg von Antwerpen. In der Mitte des Hintergrundes der Palas (Ritterwohnung), links im Vordergrunde die Kemenate (Frauenwohnung); rechts im Vordergrunde die Pforte des Münsters; ebenda im Hintergrunde das Turmtor. Es ist Nacht. Die Fenster des Palas sind hell erleuchtet; aus dem Palas hört man jubelnde Musik, Hörner und Posaunen klingen lustig daraus her.
(Auf den Stufen zur Münsterpforte sitzen Friedrich und Ortrud, beide in düsterer, ärmlicher Kleidung. Ortrud, die Arme auf die Knie gestützt, heftet unverwandt ihr Auge auf die leuchtenden Fenster des Palas; Friedrich blickt finster zur Erde)

Friedrich
(erhebt sich rasch)
Erhebe dich, Genossin meiner Schmach!
Der junge Tag darf hier uns nicht mehr sehn.

Ortrud
(ohne ihre Stellung zu ändern)
Ich kann nicht fort, hierher bin ich gebannt.
Aus diesem Glanz des Festes unsrer Feinde
laß saugen mich ein furchtbar tödlich Gift,
das unsre Schmach und ihre Freuden ende!

Friedrich
(finster vor Ortrud hintretend)
Du fürchterliches Weib, was bannt mich noch
in deine Nähe? Warum laß ich dich nicht
allein und fliehe fort, dahin, dahin,
wo mein Gewissen Ruhe wieder fänd'!
Durch dich mußt' ich verlieren
mein' Ehr, all meinen Ruhm;
nie soll mich Lob mehr zieren,
Schmach ist mein Heldentum!
Die Acht ist mir gesprochen,
zertrümmert liegt mein Schwert,
mein Wappen ward zerbrochen,
verflucht mein Vaterherd!
Wohin ich nun mich wende,
geflohn, gefemt bin ich;
daß ihn mein Blick nicht schände,
flieht selbst der Räuber mich!
Durch dich mußt' ich verlieren usw.
O hätt' ich Tod erkoren, da ich so elend bin!
Mein Ehr' hab' ich verloren,
mein Ehr', mein Ehr' ist hin!

(Er stürzt, von Schmerz überwältigt, zu Boden. Musik aus dem Palas)

Ortrud
(immer in ihrer ersten Stellung, während Friedrich sich erhebt)
Was macht dich in so wilder Klage doch vergehn?

Friedrich
Daß mir die Waffe selbst geraubt,
(Mit einer heftigen Bewegung gegen Ortrud)
mit der ich dich erschlüg'!

Ortrud
Friedreicher Graf von Telramund!
Weshalb mißtraust du mir?

Friedrich
Du fragst? War's nicht dein Zeugnis, deine Kunde,
die mich bestrickt, die Reine zu verklagen?
Die du im düstren Wald zu Haus, logst du
mir nicht, von deinem wilden Schlosse aus
die Untat habest du verüben sehn
mit eignem Aug', wie Elsa selbst den Bruder
im Weiher dort ertränkt? Umstricktest du
mein stolzes Herz durch die Weissagung nicht,
bald würde Radbods alter Fürstenstamm
von neuem grünen und herrschen in Brabant?
Bewogst du so mich nicht, von Elsas Hand,
der Reinen, abzustehn und dich zum Weib
zu nehmen, weil du Radbods letzter Sproß?

Ortrud
(leise, doch grimmig)
Ha, wie tödlich du mich kränkst!
(Laut)
Dies alles, ja, ich sagt' und zeugt' es dir!

Friedrich
Und machtest mich, dess' Name hochgeehrt,
dess' Leben aller höchsten Tugend Preis,
zu deiner Lüge schändlichem Genossen?

Ortrud
Wer log?

Friedrich
Du! Hat nicht durch sein Gericht
Gott mich dafür geschlagen?

Ortrud
Gott?

Friedrich
Entsetzlich!
Wie tönt aus deinem Munde furchtbar der Name!

Ortrud
Ha, nennst du deine Feigheit Gott?

Friedrich
Ortrud!

Ortrud
Willst du mir drohn? Mir, einem Weibe drohn?
O Feiger! Hättest du so grimmig ihm
gedroht, der jetzt dich in das Elend schickt,
wohl hättest Sieg für Schande du erkauft!
Ha, wer ihm zu entgegnen wüßt, der fänd'
ihn schwächer als ein Kind!

Friedrich
Je schwächer er,
desto gewalt'ger kämpfte Gottes Kraft!

Ortrud
Gottes Kraft? Ha, ha!
Gib mir die Macht, und sicher zeig' ich dir,
welch schwacher Gott es ist, der ihn beschützt.

Friedrich
(von Schauer ergriffen)
Du wilde Seherin, wie willst du doch
geheimnisvoll den Geist mir neu berücken?

Ortrud
(auf den Palas deutend, in dem das Licht verlöscht ist)
Die Schwelger streckten sich zur üpp'gen Ruh'.
Setz dich zur Seite mir! Die Stund' ist da,
wo dir mein Seherauge leuchten soll!

(Während des Folgenden nähert sich Friedrich, wie unheimlich von ihr angezogen, Ortrud immer mehr und neigt sein Ohr aufmerksam zu ihr herab)
Weißt du, wer dieser Held, den hier
ein Schwan gezogen an das Land?

Friedrich
Nein!

Ortrud
Was gäbst du doch, es zu erfahren,
wenn ich dir sag': Ist er gezwungen,
zu nennen, wie sein Nam' und Art,
all seine Macht zu Ende ist,
die mühvoll ihm ein Zauber leiht?

Friedrich
Ha! Dann begriff ich sein Verbot!

Ortrud
Nun hör! Niemand hier hat Gewalt,
ihm das Geheimnis zu entreißen,
als die, der er so streng verbot,
die Frage je an ihn zu tun.

Friedrich
So gält' es, Elsa zu verleiten,
daß sie die Frag' ihm nicht erließ'?

Ortrud
Ha, wie begreifst du schnell und wohl!

Friedrich
Doch wie soll das gelingen?

Ortrud
Hör!
Vor allem gilt's, von hinnen nicht
zu fliehn; drum schärfe deinen Witz!
Gerechten Argwohn ihr zu wecken,
tritt vor, klag ihn des Zaubers an,
mit dem er das Gericht getäuscht!

Friedrich
Ha! Trug und Zaubers List!

Ortrud
Mißglückt's,
so bleibt ein Mittel der Gewalt!

Friedrich
Gewalt?

Ortrud
Umsonst nicht bin ich in
geheimsten Künsten tief erfahren;
drum achte wohl, was ich dir sage!
Jed' Wesen, das durch Zauber stark,
wird ihm des Leibes kleinstes Glied
entrissen nur, muß sich alsbald
ohnmächtig zeigen, wie es ist.

Friedrich
Ha, sprächst du wahr!

Ortrud
O hättest du
im Kampf nur einen Finger ihm,
ja, eines Fingers Glied entschlagen,
der Held - er war in deiner Macht!

Friedrich
Entsetzlich! Ha, was lässest du mich hören!
Durch Gott geschlagen wähnt' ich mich:
Nun ließ durch Trug sich das Gericht betören,
durch Zaubers List verlor mein' Ehre ich!
Doch meine Schande könnt' ich rächen,
bezeugen könnt' ich meine Treu'?
Des Buhlen Trug, ich könnt' ihn brechen,
und meine Ehr' gewänn' ich neu?
O Weib, das in der Nacht ich vor mir seh',
betrügst du jetzt mich noch, dann weh dir! Weh!

Ortrud
Ha, wie du rasest! Ruhig und besonnen!
So lehr' ich dich der Rache süße Wonnen!

(Friedrich setzt sich langsam an Ortruds Seite auf die Stufen nieder)

Ortrud und Friedrich
Der Rache Werk sei nun beschworen
aus meines Busens wilder Nacht!
Die ihr in süßem Schlaf verloren,
wißt, daß für euch das Unheil wacht!

(Elsa, in weißem Gewande, erscheint auf dem Söller; sie tritt an die Brüstung und lehnt den Kopf auf die Hand)

Elsa
Euch Lüften, die mein Klagen
so traurig oft erfüllt,
euch muß ich dankend sagen,
wie sich mein Glück enthüllt!

Ortrud
Sie ist es!

Friedrich
Elsa!

Elsa
Durch euch kam er gezogen,
ihr lächeltet der Fahrt,
auf wilden Meereswogen
habt ihr ihn treu bewahrt.

Ortrud
Der Stunde soll sie fluchen,
in der sie jetzt mein Blick gewahrt!

Elsa
Zu trocknen meine Zähren
hab' ich euch oft gemüht;
wollt Kühlung nur gewähren
der Wang', in Lieb' erglüht!

Ortrud
(zu Friedrich)
Hinweg! Entfern' ein kleines dich von hier!

Friedrich
Warum?

Ortrud
Sie ist für mich - ihr Held gehöre dir!

(Friedrich entfernt sich und verschwindet im Hintergrunde)

Elsa
Wollt Kühlung nur gewähren
der Wang', in Lieb' erglüht!
In Liebe!

Ortrud
(in ihrer bisherigen Stellung verbleibend)
Elsa!

Elsa
Wer ruft? Wie schauerlich und klagend
ertönt mein Name durch die Nacht?

Ortrud
Elsa!
Ist meine Stimme dir so fremd?
Willst du die Arme ganz verleugnen,
die du ins fernste Elend schickst?

Elsa
Ortrud! Bist du's? Was machst du hier, unglücklich Weib?

Ortrud
»Unglücklich Weib!«
Wohl hast du recht, so mich zu nennen!
In ferner Einsamkeit des Waldes,
wo still und friedsam ich gelebt,
was tat ich dir? Was tat ich dir?
Freudlos, das Unglück nur beweinend,
das lang belastet meinen Stamm,
was tat ich dir? Was tat ich dir?

Elsa
Um Gott, was klagest du mich an?
War ich es, die dir Leid gebracht?

Ortrud
Wie könntest du fürwahr mir neiden
das Glück, daß mich zum Weib erwählt
der Mann, den du so gern verschmäht?

Elsa
Allgüt'ger Gott! Was soll mir das?

Ortrud
Mußt' ihn unsel'ger Wahn betören,
dich Reine einer Schuld zu zeihn -
von Reu' ist nun sein Herz zerrissen,
zu grimmer Buß' ist er verdammt.

Elsa
Gerechter Gott!

Ortrud
Oh, du bist glücklich!
Nach kurzem, unschuldsüßem Leiden
siehst lächeln du das Leben nur;
von mir darfst selig du dich scheiden,
mich schickst du auf des Todes Spur,
daß meines Jammers trüber Schein
nie kehr' in deine Feste ein!

Elsa
Wie schlecht ich deine Güte priese,
Allmächt'ger, der mich so beglückt,
wenn ich das Unglück von mir stieße,
das sich im Staube vor mir bückt!
O nimmer! Ortrud! Harre mein!
Ich selber laß dich zu mir ein!

(Sie eilt in die Kemenate zurück).

Ortrud
(springt in wilder Begeisterung von den Stufen auf)
Entweihte Götter! Helft jetzt meiner Rache!
Bestraft die Schmach, die hier euch angetan!
Stärkt mich im Dienste eurer heil'gen Sache!
Vernichtet der Abtrünn'gen schnöden Wahn!
Wodan! Dich Starken rufe ich!
Freia! Erhabne, höre mich!
Segnet mir Trug und Heuchelei,
daß glücklich meine Rache sei!

Elsa
(noch außerhalb)
Ortrud, wo bist du?

(Elsa und zwei Mägde mit Lichtern treten aus der unteren Tür der Kemenate)

Ortrud
(sich demütigend vor Elsa niederwerfend)
Hier zu deinen Füßen.

Elsa
(bei Ortruds Anblick erschreckt zurücktretend)
Hilf Gott! So muß ich dich erblicken,
die ich in Stolz und Pracht nur sah!
Es will das Herze mir ersticken,
seh' ich so niedrig dich mir nah!
Steh auf! O spare mir dein Bitten!
Trugst du mir Haß, verzieh ich dir;
was du schon jetzt durch mich gelitten,
das, bitte ich, verzeih auch mir!

Ortrud
O habe Dank für so viel Güte!

Elsa
Der morgen nun mein Gatte heißt,
anfleh' ich sein liebreich Gemüte,
daß Friedrich auch er Gnad' erweist.

Ortrud
Du fesselst mich in Dankes Banden!

Elsa
In Frühn laß mich bereit dich sehn -
geschmückt mit prächtigen Gewanden
sollst du mit mir zum Münster gehn:
Dort harre ich des Helden mein,
vor Gott sein Eh'gemahl zu sein!
Sein Eh'gemahl!

Ortrud
Wie kann ich solche Huld dir lohnen,
da machtlos ich und elend bin?
Soll ich in Gnaden bei dir wohnen,
stets bleibe ich die Bettlerin!

(Immer näher zu Elsa tretend)
Nur eine Kraft ist mir geblieben,
sie raubte mir kein Machtgebot;
durch sie vielleicht schütz' ich dein Leben,
bewahr' es vor der Reue Not!

Elsa
Wie meinst du?

Ortrud
Wohl, daß ich dich warne,
zu blind nicht deinem Glück zu traun;
daß nicht ein Unheil dich umgarne,
laß mich für dich zur Zukunft schaun.

Elsa
Welch Unheil?

Ortrud
Könntest du erfassen,
wie dessen Art so wundersam,
der nie dich möge so verlassen,
wie er durch Zauber zu dir kam!

Elsa
(von Grausen erfaßt, wendet sich unwillig ab; voll Trauer und Mitleid wendet sie sich dann wieder zu Ortrud)
Du Ärmste kannst wohl nie ermessen,
wie zweifellos ein Herze liebt?
Du hast wohl nie das Glück besessen,
das sich uns nur durch Glauben gibt?
Kehr bei mir ein! Laß mich dich lehren,
wie süß die Wonne reinster Treu'!
Laß zu dem Glauben dich bekehren:
Es gibt ein Glück, das ohne Reu'!

Ortrud
(für sich)
Ha! Dieser Stolz,
er soll mich lehren,
wie ich bekämpfe ihre Treu'!
Gen ihn will ich die Waffen kehren,
durch ihren Hochmut werd' ihr Reu'! usw.

Elsa
Laß mich dich lehren,
wie süß die Wonne reinster Treu usw.

(Ortrud tritt, von Elsa geleitet, mit heuchlerischem Zögern durch die kleine Pforte ein; die Mägde leuchten voran und schließen; nachdem alle eingetreten. Erstes Tagesgrauen)

Friedrich
(tritt aus dem Hintergrunde vor)
So zieht das Unheil in dies Haus!
Vollführe, Weib, was deine List ersonnen;
dein Werk zu hemmen fühl' ich keine Macht!
Das Unheil hat mit meinem Fall begonnen,
nun stürzet nach, die mich dahin gebracht!
Nur eines seh' ich mahnend vor mir stehn:
Der Räuber meiner Ehre soll vergehn!

(Nachdem er den Ort erspäht, der ihn vor dem Zulaufe des Volkes am günstigsten verbergen könnte, tritt er hinter einen Mauervorsprung des Münsters)

(Allmählicher Tagesanbruch. Zwei Wächter blasen vom Turm das Morgenlied; von einem entfernteren Turme hört man antworten)

(Während die Türmer herabsteigen und das Tor erschließen, treten aus verschiedenen Richtungen der Burg Dienstmannen auf, begrüßen sie, gehen ruhen an ihre Verrichtungen usw. Einige schöpfen am Brunnen in metallenen Gefäßen Wasser, klopfen an die Pforte des Palas und werden damit eingelassen)

(Die Pforte des Palas öffnet sich von neuem, die vier Heerhornbläser des Königs schreiten heraus und blasen den Ruf, dann treten sie wieder in den Palas zurück. Die Dienstmannen haben die Bühne verlassen)

(Aus dem Burghofe und durch das Turmtor kommen nun immer zahlreicher brabantische Edle und Mannen vor dem Münster zusammen; sie begrüßen sich in heiterer Erregtheit)

Die Edlen und Mannen
In Frühn versammelt uns der Ruf,
gar viel verheißet wohl der Tag!
Der hier so hehre Wunder schuf,
manch neue Tat vollbringen mag!
In Frühn versammelt uns der Ruf usw.

(Der Heerrufer schreitet aus dem Palas auf die Erhöhung vor dessen Pforte heraus, die vier Heerhornbläser ihm voran. Der Königsruf wird wiederum geblasen; alle wenden sich in lebhafter Erwartung dem Hintergrunde zu)

Der Heerrufer
Des Königs Wort und Will' tu' ich euch kund:
drum achtet wohl, was euch durch mich er sagt!
In Bann und Acht ist Friedrich Telramund,
weil untreu er den Gotteskampf gewagt.
Wer sein noch pflegt, wer sich zu ihm gesellt,
nach Reiches Recht derselben Acht verfällt.

Die Männer
Fluch ihm, dem Ungetreuen,
den Gottes Urteil traf!
Ihn soll der Reine scheuen,
es flieh' ihn Ruh' und Schlaf!
Fluch ihm, dem Ungetreuen!

(Beim Rufe der Heerhörner sammelt sich das Volk schnell wieder zur Aufmerksamkeit)

Der Heerrufer
Und weiter kündet euch der König an,
daß er den fremden, gottgesandten Mann,
den Elsa zum Gemahle sich ersehnt,
mit Land und Krone von Brabant belehnt.
Doch will der Held nicht Herzog sein genannt -
ihr sollt ihn heißen: Schützer von Brabant!

Die Männer
Hoch der ersehnte Mann!
Heil ihm, den Gott gesandt!
Treu sind wir untertan
dem Schützer von Brabant!
Hoch der ersehnte Mann usw..
Heil ihm! Heil dem Schützer von Brabant!

(Neuer Ruf der Heerhornbläser)

Der Heerrufer
Nun hört, was er durch mich euch sagen läßt:
Heut feiert er mit euch sein Hochzeitfest;
doch morgen sollt ihr kampfgerüstet nahn,
zur Heeresfolg' dem König untertan;
er selbst verschmäht der süßen Ruh' zu pflegen,
er führt euch an zu hehren Ruhmes Segen!

(Er geht mit den vier Heerhornbläsern in den Palas zurück)

Die Männer
Zum Streite säumet nicht,
führt euch der Hehre an!
Wer mutig mit ihm ficht,
dem lacht des Ruhmes Bahn!
Auf! säumt zu streiten nicht,
führt euch der Hehre an!
Gott hat ihn gesandt
zur Größe von Brabant!
Von Gott ist er gesandt
zur Größe von Brabant!
Wer mutig mit ihn ficht usw.
Von Gott ist er gesandt!

(Während das Volk freudig durcheinander wogt, treten im Vordergrunde vier Edle, Friedrichs sonstige Lehensmannen, zusammen)

Der dritte Edle
Nun hört, dem Lande will er uns entführen!

Der zweite Edle
Gen einen Feind, der uns noch nie bedroht?

Der vierte Edle
Solch kühn Beginnen solle ihm nicht gebühren!

Der erste Edle
Wer wehret ihm, wenn er die Fahrt gebot?

Friedrich
(ist unbemerkt unter sie getreten)
Ich!

(Er enthüllt sein Haupt)

Die vier Edlen
(fahren entsetzt zurück)
Ha! Wer bist du? - Friedrich!

Der vierte Edle
Seh' ich recht?

Der erste, zweite und dritte Edle
Du wagst dich her, zur Beute jedem Knecht?

Der vierte Edle
Hier wagst du dich her?

Friedrich
Gar bald will ich wohl weiter noch mich wagen,
vor euren Augen soll es leuchtend tagen!
Der euch so kühn die Heerfahrt angesagt,
der sei von mir des Gottestrugs beklagt!

Die vier Edlen
War hör' ich? Rasender! Was hast du vor?
Weh dir! Verlorner du, hört dich des Volkes Ohr!

(Sie drängen ihn nach dem Münster, wo sie ihn vor dem Blicke des Volkes zu verbergen suchen)

(Vier Edelknaben treten aus der Tür der Kemenate auf den Söller, laufen munter den Hauptweg hinab und stellen sich vor dem Palas auf der Höhe auf. Das Volk, das die Knaben gewahrt, drängt sich mehr nach dem Vordergrunde)

Edelknaben
Macht Platz!
Macht Platz für Elsa, unsre Frau:
Die will in Gott zum Münster gehn.

(Sie schreiten nach vorn, indem sie durch die willig zurückweichenden Edlen eine breite Gasse bis zu den Stufen des Münsters bilden, wo sie dann sich selbst aufstellen.

Vier andere Edelknaben treten gemessen und feierlich aus der Tür der Kemenate auf den Söller und stellen sich daselbst auf, um den Zug der Frauen, den sie erwarten, zu geleiten)

(Ein langer Zug von Frauen in prächtigen Gewändern schreitet langsam aus der Pforte der Kemenate auf den Söller; er wendet sich links auf dem Hauptwege am Palas vorbei und von da wieder nach vorn dem Münster zu, auf dessen Stufen die zuerst Gekommenen sich aufstellen)

Die Edlen und Mannen
(während des Aufzugs)
Gesegnet soll sie schreiten,
die lang in Demut litt!
Gott möge sie geleiten,
Gott hüte ihren Schritt!

(Die Edlen, die unwillkürlich die Gasse wieder vertreten hatten, weichen vor den Edelknaben aufs neue zurück, welche dem Zuge, da er bereits vor dem Palas angekommen ist, Bahn machen. Elsa ist, prächtig geschmückt, im Zuge aufgetreten und auf der Erhöhung vor dem Palas angelangt; die Gasse ist wieder offen, alle können Elsa sehen, welche eine Zeitlang verweilt)

Sie naht, die Engelgleiche,
von keuscher Glut entbrannt!

(Elsa schreitet aus dem Hintergrunde langsam nach vorn durch die Gasse der Männer)

Heil dir, o Tugendreiche!
Heil dir, Elsa von Brabant!
Gesegnet sollst du schreiten!
Heil dir usw.

Die Frauen
Heil dir usw.

(Außer den Edelknaben sind auch die vordersten Frauen bereits auf der Treppe des Münsters angelangt, wo sie sich aufstellen, um Elsa den Vortritt in die Kirche zu lassen; unter den Frauen, welche ihr noch folgen und den Zug schließen, geht Ortrud, ebenfalls reich gekleidet; die Frauen, die dieser zunächst gehen, halten sich voll Scheu und wenig verhaltenem Unwillen von ihr entfernt, so daß sie sehr einzeln erscheint: In ihren Mienen drückt sich immer steigender Ingrimm aus. Als Elsa unter dem lauten Zurufe des Volkes eben den Fuß auf die erste Stufe zum Münster setzen will, tritt Ortrud heftig hervor, schreitet auf Elsa zu, stellt sich auf derselben Stufe ihr entgegen und zwingt sie so, vor ihr wieder zurückzutreten)

Ortrud
Zurück, Elsa! Nicht länger will ich dulden,
daß ich gleich einer Magd dir folgen soll!
Den Vortritt sollst du überall mir schulden,
vor mir dich beugen sollst du demutsvoll!

Die Edelknaben und die Männer
Was will das Weib? Zurück!

(Sie drängen Ortrud nach der Mitte der Bühne zurück)

Elsa
Um Gott! Was muß ich sehn?
Welch jäher Wechsel ist mit dir geschehn?

Ortrud
Weil eine Stund' ich meines Werts vergessen,
glaubst du, ich müßte dir nur kriechend nahn?
Mein Leid zu rächen will ich mich vermessen,
was mir gebührt, das will ich nun empfahn!

(Lebhaftes Staunen und Bewegung aller)

Elsa
Weh, ließ ich durch dein Heucheln mich verleiten,
die diese Nacht sich jammernd zu mir stahl?
Wie willst du nun in Hochmut vor mir schreiten,
du, eines Gottgerichteten Gemahl?

Ortrud
(mit dem Anschein tiefer Gekränktheit)
Wenn falsch Gericht mir den Gemahl verbannte,
war doch sein Nam' im Lande hoch geehrt;
als aller Tugend Preis man ihn nur nannte,
gekannt, gefürchtet war sein tapfres Schwert.
Der deine, sag, wer sollte hier ihn kennen,
vermagst du selbst den Namen nicht zu nennen!

Die Männer
Was sagt sie? Ha, was tut sie kund?

Die Frauen und Knaben
Sie lästert!

Die Männer
Wehret ihrem Mund!

Ortrud
Kannst du ihn nennen, kannst du uns es sagen,
ob sein Geschlecht, sein Adel wohl bewährt?
Woher die Fluten ihn zu dir getragen,
wann und wohin er wieder von dir fährt?
Ha, nein! Wohl brächte es ihm schlimme Not -
der kluge Held die Frage drum verbot!

Männer, Frauen und Knaben
Ha, spricht sie wahr? Welch schwere Klagen!
Sie schmähet ihn! Darf sie es wagen?

Elsa
(nach großer Betroffenheit sich ermannend)
Du Lästerin! Ruchlose Frau!
Hör, ob ich Antwort mir getrau'!
So rein und edel ist sein Wesen,
so tugendreich der hehre Mann,
daß nie des Unheils soll genesen,
wer seiner Sendung zweifeln kann!
 

Die Männer
Gewiß! Gewiß!

Elsa
Hat nicht durch Gott im Kampf geschlagen
mein teurer Held den Gatten dein?

(Zum Volke)
Nun sollt nach Recht ihr alle sagen,
wer kann da nur der Reine sein?

Die Männer
Nur er! Nur er!
Dein Held allein!

Die Frauen und Knaben
Dein Held allein!

Ortrud
Ha, diese Reine deines Helden,
wie wäre sie so bald getrübt,
müßt' er des Zaubers Wesen melden,
durch den hier solche Macht er übt!
Wagst du ihn nicht darum zu fragen,
so glauben alle wir mit Recht,
du müßtest selbst in Sorge zagen,
um seine Reine steh' es schlecht!

Die Frauen
(Elsa unterstützend)
Helft ihr vor der Verruchten Haß!

(Der Palas wird geöffnet, die vier Heerhornbläser schreiten heraus und blasen)

Die Männer
(dem Hintergrunde zu blickend)
Macht Platz! Macht Platz! Der König naht!

(Der König, Lohengrin und die sächsischen Grafen und Edlen sind in feierlichem Zuge aus dem Palas getreten; durch die Verwirrung im Vordergrunde wird der Zug unterbrochen)

Die Brabanter
Heil! Heil dem König!

(Der König und Lohengrin dringen durch die verwirrten Haufen des Vordergrundes lebhaft vor)
Heil dem Schützer von Brabant!

Der König
Was für ein Streit?

Elsa
(sehr aufgeregt an Lohengrins Brust stürzend)
Mein Herr! O mein Gebieter!

Lohengrin
Was ist?

Der König
Wer wagt es hier, den Kirchengang zu stören?

Des Königs Gefolge
Welcher Streit, den wir vernahmen?

Lohengrin
(Ortrud erblickend)
Was seh' ich! Das unsel'ge Weib bei dir?

Elsa
Mein Retter! Schütze mich vor dieser Frau!
Schilt mich, wenn ich dir ungehorsam war!
In Jammer sah ich sie vor dieser Pforte,
aus ihrer Not nahm ich sie bei mir auf.
Nun sieh, wie furchtbar sie mir lohnt die Güte:
Sie schilt mich, daß ich dir zu sehr vertrau'!

Lohengrin
(den Blick fest und bannend auf Ortrud heftend, welche vor ihm sich nicht zu regen vermag)
Du fürchterliches Weib, steh ab von ihr!
Hier wird dir nimmer Sieg!

(Er wendet sich freundlich zu Elsa)
Sag, Elsa, mir,
vermocht ihr Gift sie in dein Herz zu gießen?

(Elsa birgt ihr Gesicht weinend an seiner Brust. Lohengrin richtet sie auf und deutet nach dem Münster)
Komm, laß in Freude dort diese Tränen fließen!

(Er wendet sich mit Elsa und dem König dem Zuge voran nach dem Münster, alle lassen sich an, wohlgeordnet zu folgen)

Friedrich
(tritt auf der Treppe des Münsters hervor; die Frauen und Edelknaben, als sie ihn erkennen, weichen entsetzt aus seiner Nähe)
O König! Trugbetörte Fürsten! Haltet ein!

Der König
Was will der hier?

Die Männer
Was will der hier?
Verfluchter! Weich von dannen!

Friedrich
O hört mich an!

Die Männer
Hinweg!
Zurück!

Der König
Zurück!
Weiche von dannen!

Die Männer
Du bist des Todes, Mann!

Friedrich
Hört mich, dem grimmes Unrecht ihr getan!

Der König
Hinweg!

Die Männer
Hinweg! Weich von dannen!

Friedrich
Gottes Gericht, es ward entehrt, betrogen!
Durch eines Zaubrers List seid ihr belogen!

Der König
Greift den Verruchten!

Die Männer, Frauen und Knaben
Greift den Verruchten!
Hört! Er lästert Gott!

(Sie dringen von allen Seiten auf ihn ein)

Friedrich
(mit der fürchterlichsten Anstrengung, um gehört zu werden, seinen Blick nur auf Lohengrin geheftet und der Andringenden nicht achtend)
Den dort im Glanz ich vor mir sehe,
den klage ich des Zaubers an!

(Die Andringenden schrecken vor Friedrichs Stimme zurück und hören endlich aufmerksam zu)
Wie Staub vor Gottes Hauch verwehe
die Macht, die er durch List gewann!
Wie schlecht ihr des Gerichtes wahrtet,
das doch die Ehre mir benahm,
da eine Frag' ihr ihm erspartet,
als er zum Gotteskampfe kam!
Die Frage nun sollt ihr nicht wehren,
daß sie ihm jetzt von mir gestellt:

(In gebieterischer Stellung)
Nach Namen, Stand und Ehren
frag' ich ihn laut vor aller Welt!

(Bewegung großer Betroffenheit unter allen)
Wer ist er, der ans Land geschwommen,
gezogen von einem wilden Schwan?
Wem solche Zaubertiere frommen,
dess' Reinheit achte ich für Wahn!
Nun soll der Klag' er Rede stehn';
vermag er's, so geschah mir recht -
wo nicht, so sollet ihr ersehn,
um seine Reine steh' es schlecht!

(Alle blicken bestürzt und erwartungsvoll auf Lohengrin)

Die Männer, der König, die Frauen und Knaben
Welch harte Klagen!
Was wird er ihm entgegnen?

Lohengrin
Nicht dir, der so vergaß der Ehren,
hab' not ich Rede hier zu stehn!
Des Bösen Zweifel darf ich wehren,
vor ihm wird Reine nie vergehn!

Friedrich
Darf ich ihm nicht als würdig gelten,
dich ruf ich, König, hoch geehrt!
Wird er auch dich unadlig schelten,
daß er die Frage dir verwehrt?

Lohengrin
Ja, selbst dem König darf ich wehren
und aller Fürsten höchstem Rat!
Nicht darf sie Zweifels Last beschweren,
sie sahen meine gute Tat!
Nur eine ist's, der muß ich Antwort geben:
Elsa -

(Er hält betroffen an, als er, sich zu Elsa wendend, diese mit heftig wogender Brust in wildem innerem Kampfe vor sich hinstarren sieht)
Elsa! Wie seh' ich sie erbeben!

Der König, die Männer, Frauen und Knaben
Welch ein Geheimnis muß der Held bewahren?

Ortrud und Friedrich
In wildem Brüten darf ich sie gewahren,
der Zweifel keimt in ihres Herzens Grund!

Lohengrin
In wildem Brüten muß ich sie gewahren!

Der König, die Männer, Frauen und Knaben
Bringt es ihm Not, so wahr' es treu sein Mund!

Friedrich und Ortrud
Der Zweifel keimt in ihres Herzens Grund.

Lohengrin
Hat sie betört des Hasses Lügenmund?

Elsa
(der Umgebung entrückt vor sich hinblickend)
Was er verbirgt, wohl brächt' es ihm Gefahren,
vor aller Welt spräch' es hier aus sein Mund;
die er errettet, weh mir Undankbaren,
verriet' ich ihn, daß hier es werde kund.

Die Frauen und Knaben
Bringt sein Geheimnis ihr Not,
so wahr' es treu sein Mund!

Der König
Bringt ihm sein Geheimnis Not,
so wahr' es treu sein Mund!

Lohengrin
In wildem Brüten muß ich sie gewahren!

Ortrud und Friedrich
In wildem Brüten darf ich sie gewahren!

Lohengrin
O Himmel, schirm ihr Herz vor den Gefahren!
Nie werde Zweifel dieser Reinen kund! usw.

Der König und die Männer
Wir schirmen ihn, den Edlen, vor Gefahren;
durch seine Tat ward uns sein Adel kund! usw.

Elsa
Wüßt' ich sein Los, ich wollt' es treu bewahren!
Im Zweifel doch erbebt des Herzens Grund! usw.

Ortrud und Friedrich
Er ist besiegt, besiegt ist dieser Held,
der mir zur Not in dieses Land gefahren,
er ist besiegt, wird ihm die Frage kund! usw.

Die Frauen und Knaben
Bringt ihr sein Geheimnis Not,
so bewahr' es treu sein Mund! usw.

Der König
Mein Held, entgegne kühn dem Ungetreuen!
Du bist zu hehr, um, was er klagt, zu scheuen!

Die sächsischen und brabantischen Edlen
(sich an Lohengrin drängend)
Wir stehn zu dir, es soll uns nie gereuen,
daß wir der Helden Preis in dir erkannt!
Reich uns die Hand! Wir glauben dir in Treuen,
daß hehr dein Nam', wenn er auch nicht genannt! usw.

Lohengrin
Euch Helden soll der Glaube nicht gereuen,
werd' euch mein Nam' und Art auch nie genannt! usw.

(Während Lohengrin, von den Männern, in deren dargereichte Hand er jedem einschlägt, umringt, etwas tiefer im Hintergrund verweilt, drängt sich Friedrich an Elsa, welche bisher vor Unruhe, Verwirrung und Scham noch nicht vermocht hat, auf Lohengrin zu blicken, und so, mit sich kämpfend, noch einsam im Vordergrunde steht)

Friedrich
(sich zu Elsa neigend)
Vertraue mir! Laß dir ein Mittel heißen,
das dir Gewißheit schafft!

Elsa
(erschrocken; doch leise)
Hinweg von mir!

Friedrich
Laß mich das kleinste Glied ihm nur entreißen,
des Fingers Spitze, und ich schwöre dir,
was er dir hehlt, sollst frei du vor dir sehn,
dir treu, soll nie er dir von hinnen gehn!

Elsa
Ha! Nimmermehr!

Friedrich
Ich bin dir nah zur Nacht -
rufst du, ohn' Schaden ist es schnell vollbracht.

Lohengrin
(schnell in den Vordergrund tretend)
Elsa, mit wem verkehrst du da?

(Elsa wendet sich mit einem zweifelvoll schmerzlichen Blick von Friedrich ab und sinkt tief erschüttert zu Lohengrins Füßen. Lohengrin wendet sich an Ortrud und Friedrich)
Zurück von ihr, Verfluchte!
Daß nie mein Auge je
euch wieder bei ihr seh'!

(Friedrich macht eine Gebärde der schmerzlichsten Wut)
Elsa, erhebe dich! In deiner Hand,
in deiner Treu' liegt alles Glückes Pfand!
Läßt nicht des Zweifels Macht dich ruhn?
Willst du die Frage an mich tun?

Elsa
(in heftigster innerer Aufregung und in schamvoller Verwirrung)
Mein Retter, der mir Heil gebracht!
Mein Held, in dem ich muß vergehn!
Hoch über alles Zweifels Macht
soll meine Liebe stehn.

(Sie sinkt an seine Brust. Die Orgel ertönt aus dem Münster)

Lohengrin
Heil dir, Elsa!
Nun laß vor Gott uns gehn!

Die Männer
Seht, er ist von Gott gesandt!

Die Frauen und Knaben
Heil! Heil! Heil!

(Lohengrin führt Elsa feierlich an den Edlen vorüber zum König. Wo sie vorbeikommen, machen die Männer ehrerbietig Platz)

Die Männer
Heil! Heil euch!
Heil Elsa von Brabant!

(Von dem König geleitet, schreiten Lohengrin und Elsa langsam dem Münster zu)
Gesegnet sollst du schreiten! usw.

Die Männer, Frauen und Knaben
Heil dir, Tugendreiche!
Heil Elsa von Brabant!
Heil dir!

(Als der König mit dem Brautpaar die höchste Stufe erreicht, wendet sich Elsa in großer Ergriffenheit zu Lohengrin, dieser empfängt sie in seinen Armen. Aus dieser Umarmung blickt sie mit scheuer Besorgnis rechts von der Treppe hinab und gewahrt Ortrud, welche den Arm gegen sie erhebt, als halte sie sich des Sieges gewiß; Elsa wendet erschreckt ihr Gesicht ab. Vom König geführt, schreiten Lohengrin und Elsa dem Eingange des Münsters zu)